Das Geheimnis hinter der wand

Kapitel 1: Das neue Zimmer

Tom starrte an die Decke seines neuen Zimmers. Der Umzug hatte den ganzen Tag gedauert und trotzdem stapelten sich in jeder Ecke der neuen Wohnung noch nicht ausgepackte Kartons und Kisten. Blaukaltes Mondlicht durchflutete sein Kinderzimmer und ließ die Schatten der bisher nur halb aufgebauten Möbel wie riesige Monster erscheinen. Er seufzte. Zumindest hatte er ein Bett, in dem er schlafen konnte. „Was soll’s?“, dachte er und drehte sich auf die Seite. „Ist ja nicht für immer.“ Dabei spürte er tief in seinem Innern, dass es vermutlich doch für eine ziemlich lange Zeit erst mal so bleiben würde.
Verdrossen starrte er an die dunkle Wand neben seinem Bett. Hier hing bereits die riesige Weltkarte, die er zum Abschied von Opa geschenkt bekommen hatte. Stundenlang hatten Großvater und er über der Karte brüten und mit den Fingern über weit entfernte Orte fahren können. Tom hatte so lange auf seinen Papa eingeredet, bis dieser die Weltkarte schließlich so an der Zimmerwand platzierte, dass Tom sie vom Bett aus gut sehen konnte.
Doch während er mit hinter dem Kopf verschränkten Armen die Ozeane und Kontinente begutachtete, streifte ihn plötzlich und nur für den Bruchteil einer Sekunde ein ganz leichter Lichtstrahl. Wie eine Art Blitz. Überrascht schaute er auf. Das Licht schien nicht von außerhalb seines Zimmers gekommen zu sein. Eher aus der Wand neben seinem Bett. Aber wie sollte da ein Licht herauskommen?
Da!
Schon wieder!
Neugierig warf er die Decke zurück und näherte sich vorsichtig der dunklen Wand.
„Nun mach endlich deine blöde Lampe aus!“
Tom erstarrte. Stimmen?
„Warum musst du immer an mir herumnörgeln? Die Wohnung steht seit Wochen leer.“
„Eben nicht, du Grünwicht! Heute ist Tom mit seinen Eltern eingezogen.“
Das Leuchten erlosch. Tom verharrte noch immer regungslos vor der Wand. Da waren Stimmen aus dem Mauerwerk zu ihm hervorgedrungen. Er hatte sie nur schwach, aber dennoch gut verstehen können und sie kannten seinen Namen. Oder bildete er sich das alles nur ein? Er rieb sich die Augen und pulte in seinen Ohren. Nein. Er war hellwach und seine Ohren waren auch einigermaßen sauber.
Mutig kniete er sich an der Stelle vor die Wand, wo er zuletzt die Lichtstrahlen gesehen hatte. Er zögerte kurz, begann dann aber vorsichtig, die Wand abzuklopfen.
Eine Metallplatte.
Mit den Fingerspitzen fuhr er über die Ränder der Wandverkleidung. „Schrauben an jeder Ecke“, bemerkte er und tastete genauer nach. „Kreuzschlitz.“
„Was machst du jetzt schon wieder?“, herrschte die eine der beiden Stimmen die andere leise an.
„Gar nichts“, gab die andere fast weinerlich zurück. „Ich habe wirklich nichts gemacht.“
Tom wich erschrocken von der Wand zurück. Die Stimmen schienen direkt von der anderen Seite der Platte zu kommen. Er krabbelte zurück zu seinem Bett und kramte aus einem alten Schuhkarton eine Kurbeltaschenlampe und sein Taschenmesser hervor.
Dann setzte er vorsichtig den Schraubendreher seines Taschenmessers auf der ersten Ecke an. Langsam aber sicher entfernte er alle Befestigungen der metallenen Abdeckplatte. Nach der letzten Schraube hielt er die Platte mit beiden Händen fest, nur um sie dann mit einem gekonnten Ruck aus der Fassung zu ziehen. Er starrte in ein schwarzes Loch. Es dauerte einen Moment, bis er sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, aber dann traute er seinen Augen nicht. Ebenso verblüfft, wie er in den Schacht hineinblickte, starrten ihn zwei erstaunte Augenpaare aus dem Loch heraus an.