Kürzlich erhielt ich erneut ein tolles und sehr wertschätzendes Feedback auf meinen damaligen Artikel bzw. mein Video zur Diagnose ‚psychovegetative Erschöpfung‘. Grund genug, das Thema Erschöpfung nochmal aufzugreifen und ein wenig weiter auszuführen. Heute mit dem Versuch, das Phänomen BurnOut Außenstehenden (Familie, Freunde, Arbeitgeber, Kollegen usw.) etwas näher zu bringen. Wie so oft könnt ihr euch diesen Artikel auch als Video-Beitrag in meinem YouTube-Kanal anschauen:

Erschöpfung verstehen
Per Klick aufs Bild gelangt ihr direkt zum Video

Gerade in Corona-Zeiten habe ich den Eindruck, dass Menschen zunehmend überfordert und erschöpft sind, was natürlich völlig legitim ist. Auch an mir bzw. an uns geht diese Zeit nicht spurlos vorüber. Für Partner, Freunde und Familie ist es oft allerdings gar nicht so einfach, die Situation des Erschöpften bzw. die Erschöpfung nachzuempfinden.

An dieser Stelle ein wichtiger Hinweis: Ich bin weder Arzt, noch Therapeut oder anderweitig als Burn-Out-Berater qualifiziert. Ich schilder hier lediglich meine Erfahrungen, teile meine Erlebnisse und Erkenntnisse. Vielleicht entdeckst du Parallelen zu deiner Situation und kannst sie als hilfreiche Impulse weiterverwenden.

Frage Nr. 1: Lässt sich Erschöpfung überhaupt verstehen?

Als es bei mir zum ersten Mal so richtig knallte, wandte sich ein Arbeitskollege – der in der Vergangenheit selbst schon einen Burn-Out austherapiert hatte – meines Vaters an ihn und meinte: „Versuch nicht zu verstehen, was dein Sohn gerade durchmacht. Wenn du selbst nicht betroffen bist, wirst du seine Situation nicht wirklich nachempfinden können.“ Als jemand der von einer Erschöpfung betroffen ist, bist du also etwas ganz Besonderes! Eine Art Superheld, denn die versteht auch niemand. ;-)

Frage Nr. 2: Wie fühlt sich eine Erschöpfung an?

Angenommen Laufen ist deine große Leidenschaft. Du schaffst es 2-3 mal die Woche zum Training, spulst deine 10-20 km ab und bereitest dich auf das ein oder andere Saisonhighlight – bspw. einen Marathon – vor. Irgendwann ist dein Ziel erreicht, der Marathon liegt hinter dir und du fällst abends erschöpft auf die Couch. Dein Organismus fährt runter und versucht die eingesetzte Energie wieder herzustellen. Du bist zufrieden mit deiner Leistung und kannst die Erschöpfung so richtig genießen. Überall im Körper zu spüren, was man geleistet hat, fühlt sich einfach nur gut an. (Ich spreche da übrigens aus Erfahrung. Zwar bin ich noch keinen Marathon gelaufen, aber als ehemaliger Radrennfahrer (im Alter von 12 – 18 Jahren) kenne ich 100-km-Radrennen oder Trainingseinheiten, die auch schon mal an die 200 km gingen.) Innerhalb kürzester Zeit verfliegt die Erschöpfung. Die Muskeln fühlen sich wieder ‚normal‘ an und nach und nach startet man in die nächsten Trainingseinheiten. Bereit, die persönliche Bestzeit/die zurückliegende Platzierung beim nächsten Wettkampf zu unterbieten.

Vergegenwärtige dir die Symptome der gerade beschriebenen Erschöpfung durch eine Laufveranstaltung und stell dir vor, dass sie einfach so da wären. Ohne, dass du zuvor einen Marathon gelaufen bist. Plus: Stell dir vor, dass diese Symptome nicht nach einem Tag wieder abklingen oder besser werden, sondern einfach erstmal dableiben. Frustrierender Gedanke? Es ist frustrierend. Deine Beine sind schwer, die Arme tun weh, deine Augen brennen vor Müdigkeit und du weißt einfach nicht (zumindest nicht zu Beginn), warum dem so ist. Du glaubst nichts Anstrengendes getan zu haben und trotzdem setzt dein Körper seine Funktionalität auf Null. Dein Geist mag willig sein, schließlich musst du Einkaufen gehen, dich um den Haushalt kümmern, dringende Projekte für deinen Job abwickeln, aber dein Körper lässt es schlichtweg nicht mehr zu. Manchmal scheint selbst schlafen zu anstrengend.

Frage Nr. 3: Ist die Erschöpfung rein physischer Natur oder ist der/die Betroffene auch mental erschöpft?

Eigentlich ziemlich klar, dass sich diese körperliche Erschöpfung sehr schnell zu einer mentalen Niedergeschlagenheit entwickelt. Zum einen hinterfragst du den Grund deiner Erschöpfung, zum anderen wolltest du diese Erschöpfung gar nicht haben. Anders als bei einem Marathonläufer, der die anschließende Erschöpfung bewusst einkalkuliert und sie sogar genießen kann. Nur zu gerne wärst du einen Marathon gelaufen, um die jetzige Erschöpfung zu spüren. Bist du aber nicht. Stattdessen hast du … Nichts gemacht?

Frage Nr. 4: Versteht der Erschöpfte selbst seine Erschöpfung?

In Folge meines ursprünglichen Burnouts bin ich einer Bekannten im Park begegnet, die wissen wollte, was denn jetzt eigentlich mit mir los sei. „Joa, geht wohl so in Richtung BurnOut“, meinte ich herabspielend. Darauf sie: „Oh gut. Da kann man ja was dran machen.“ Das ließ mich relativ sprachlos zurück. Was sollte ich denn Bitteschön daran ‚machen‘? Ein kaputtes Knie lässt sich reparieren, ein gebrochener Arm eingipsen. Ein Bandscheibenvorfall therapieren und eine Grippe auskurieren. Natürlich gehe ich auch mit einer Erschöpfung zum Arzt. Darüber hinaus auch in psychotherapeutische Behandlung und viele wählen auch den Schritt in die Rehabilitation. Als Erschöpfter muss ich allerdings erstmal verstehen, woher meine Erschöpfung eigentlich kommt. Anschließend gilt es diesen Umstand zu akzeptieren und einen anderen Weg des Umgangs mit mir selbst zu finden (achtsamer sein, freundlich zu mir selbst sein). Und letztendlich gilt es die Lebensumstände, die zur Erschöpfung geführt haben, zu analysieren und im Einklang mit Partner, Familie, Arbeitgeber so anzupassen, dass ein langfristiger Weg aus der Erschöpfung ermöglicht wird und zukünftige ‚Rückfälle‘ ausgeschlossen werden können.

Genießt der Sportler seine vorübergehende oder auch positive Erschöpfung so bringt es den ungewollt Erschöpften zur Verzweiflung. Die Situation ist fremd, das Verhalten des Körpers nicht nachvollziehbar. Das kann beunruhigend sein, beängstigend und auch Panik verursachen.

Frage Nr. 5: Wer trägt die Schuld an einer Erschöpfung?

Ich würde behaupten, dass grundsätzlich immer eher der gesamte Kontext eine Erschöpfung hervorruft. Also weniger eine konkrete Person, als ungünstigte Lebensumstände, die zu einer Dauer-Überbelastung führen. Auf keinen Fall würde ich die Erschöpfung beim Erschöpften selbst sehen.

Dennoch fühlt sich eine erschöpfte Person oft schuldig. Sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie plötzlich Dinge nicht mehr erledigen kann, die von ihr erwartet werden. Sie bricht aus einem Kontext heraus, in dem sie eine feste Rolle hatte und hat durch ihr Erschöpftsein das Gefühl, andere im Stich zu lassen. An dieser Stelle ist es mir immer wichtig anzumerken, dass die Erschöpfung der betroffenen Person nicht immer nur ihr eigenes Thema ist. Sie geht oft ungewollt über ihre Grenzen, stellt das Wohl anderer in den Vordergrund und damit wird es meines Erachtens zu einer Erschöpfung aller Beteiligten.

Denn oft führen die Dinge in die Erschöpfung, die getan werden müssen, dabei aber eher weniger erfüllend oder zufriedenstellend sind. Natürlich sollen diese Dinge auch geschehen, andernfalls würde unser Alltag wohl kaum funktionieren. Fehlt es dadurch aber an Zeit für Aktivitäten, die einem gut tun, die Freude bereiten oder Spaß machen, dann gerät der Energiehaushalt logischerweise in ein Ungleichgewicht. Befindet man sich in einem partnerschaftlichen oder familiären Kontext, sollte sich nicht nur jede einzelne Person, sondern auch das ganze Konstrukt in einem gesunden Gleichgewicht befinden. Darf der eine seinen Selbstfindungsprozessen oder einer beruflichen Karriere nachgehen und bedeutet das im Umkehrschluss, dass der Partner die eher unbefriedigenden Dinge zu erledigen hat, ist ein Ungleichgewicht vorprogrammiert.

Aus der Erschöpfung ein ‚Gemeinsam‘ zu machen, verteilt die Last und die Verantwortung. Alle ziehen an einem Strang und haben ein Interesse daran, dass die betroffene Person möglichst schnell ihrem Erschöpfungssyndrom entkommen kann.

Frage Nr. 6: Wie begegne ich einer erschöpften Person?

Ich schätze Menschen, die Opfer einer Erschöpfung werden, als ehrlich, authentisch, offenherzig, hilfsbereit, sympathisch oder auch liebenswert ein. (Die Liste lässt sich beliebig um weitere positive Eigenschaften ergänzen.) Natürlich sind die Menschen, die mit erschöpften Menschen in Berührung stehen, nicht weniger wertvoll. ;-) Grundsätzlich sollte aber klar sein, dass man einer Person mit dem Stempel ‚Erschöpfung‘ gerne und vorbehaltlos begegnen kann. Vielleicht wirkt sie etwas zurückgezogen, sensibel und vorsichtig, was dann aber auf die oben beschriebene Verunsicherung zurückzuführen ist und nichts mit dir zu tun hat.

Einer erschöpften Person zu sagen „Jetzt krieg doch mal den Hintern hoch und geh mal ne Runde joggen“ kann ebenso ineffektiv sein wie einer depressiven Person zu sagen „Schau dich doch um wie gut du es hast, genieß gefälligst dein Leben.“ Hilfreicher wäre ein gemeinsames Suchen nach Möglichkeiten. „Hey. Ich bin jetzt hier. Gönn du dir mal den Nachmittag und mach irgendwas, was dir Spaß macht.“

Wobei letzteres auch nicht immer einfach ist. Als mich meine Hausärztin nach der ersten Diagnose ‚psychovegetative Erschöpfung‘ mit der ersten Krankschreibung nach Hause schickte und sagte: „Machen Sie mal was, was ihnen Spaß macht“, war ich endlos aufgeschmissen. Noch heute arbeite ich daran, genau das herauszufinden. Mal klappt es besser, mal nicht. 😉

Abschließend

Erschöpfung, Depressionen, Burn-Out, CFS sind unangenehme Krankheitsbilder, die – nach meinem Empfinden – ein Erzeugnis unserer gesellschaftlichen Höher-Schneller-Weiter-Besser-Reicher-Mentalität sind. Sind das die Werte unserer westlichen Welt, dürfen wir uns über ein Zusteuern auf Volkskrankheiten dieser Art nicht wundern. Umso wichtiger ist es, dass Nicht-Betroffene sich diesen Themen öffnen und Akzeptanz sowie Tolleranz zeigen.

Aussicht auf das nächste Thema: “DIE Lösung für krisen-gebeutelte Lockdown-Familien in Corona-Zeiten!”

Diese Zeiten sind heftig. Wie eingangs bereits erwähnt: Jetzt Erschöpfung, Ängste und andere Symptome aufzubauen, ist absolut nicht verwunderlich. Home-Office, Home-Schooling, Kurzarbeit, Verdiensteinbrüche, … All das bringt zusätzliche finanzielle Sorgen mit sich. Meiner Meinung nach gibt es bereits seit einigen Jahren ein Konzept (das aktuell auch an zunehemder Popularität gewinnt), das seitens der Politik längst hätte etabliert werden müssen. Was genau das ist, schreibe ich euch in meinem kommenden Artikel.

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